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Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen

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16

Einleitung.

 

16. §.

  Es wolle niemand auf die Gedanken gerathen, als wenn ich verlan-
gete, daß ein jedes musikalisches Stück nach den steifen Regeln des dop-
pelten Contrapuncts, daß ist, nach den Regeln, wie die Stimmen ein-
zurichten sind, welche zugleich mit einander, auf eine wohlklingende Art,
umgekehret, verwechselt, und versetzet werden sollen, abgemessen werden
müßte. Nein, dieses wäre eine verwerfliche Pedanterey. Ich behaupte
nur, daß ein jeder Componist solche Regeln zu wissen schuldig sey; die
Künsteleyen aber da, wo es der gute Gesang erlaubet, so zu untermi-
schen suchen müsse, daß weder am schönen Gesange, noch an der guten
Ausnahme, irgend einiger Abbruch verspüret werde; und daß der Zuhö-
rer keinen ängstlichen Fleiß dabey bemerke: sondern daß überall die Natur
hervorleuchte. Das Wort: Contrapunct, pfleget sonst bey denen, die
nur dem bloßen Naturell zu folgen gedenken, mehrentheils einen widrigen
Eindruck zu machen, und für überflüßige Schulfüchserey gehalten zu wer-
den. Die Ursache ist, weil ihnen nur der Name, nicht aber die Eigen-
schaft und der Nutzen davon, bekannt ist. Hätten sie nur eine kleine Er-
kenntnis davon erlanget; so würde ihnen dieses Wort nicht so fürchterlich
klingen. Ich will eben keinen Lobredner aller Arten der doppelten Con-
trapuncte überhaupt abgeben: obgleich ein jeder davon, in gewisser Art,
und zu rechter Zeit, seinen Nutzen haben kann. Doch kann ich auch nicht
umhin, absonderlich dem Contrapunct all'Ottava sein Recht wiederfahren
zu lassen, und die genaue Kenntniß deßelben, als eine unentbehrliche Sa-
che, einem jeden angehenden Componisten anzupreißen: weil dieser Con-
trapunct nicht nur bey Fugen und andern künstlichen Stücken höchst nö-
thig ist, sondern auch bey vielen galanten Nachahmungen und Verkehrun-
gen der Stimmen treffliche Dienste thut. Daß aber die Alten in den mu-
sikalischen Künsteleyen sich zu sehr vertiefet haben, und zu weit darinne
gegangen sind; so daß sie darüber das Nothwendigste in der Musik, ich
meyne das Rührende und Gefällige, fast verabsäumet haben; ist an dem.
Allein, was kann der Contrapunct dafür, wenn die Contrapunctisten mit
demselben nicht recht umzugehen wissen, oder einen Misbrauch daraus
machen; und wenn die Liebhaber der Musik, aus Mangel der Erkennt-
niß, keinen Geschmack daran finden? Haben es nicht alle übrigen Wissen-
schaften mit dem Contrapuncte gemein, daß man ohne die Kenntniß der-
selben, auch kein Vergnügen davon haben kann? Z. E. Wer kann sagen,
daß er an der Trigonometrie, oder der Algebra Geschmack finde, wenn
er

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