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Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen

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Das XVIII. Hauptstück. Wie ein Musikus

  Wie die Singart der Deutschen in den alten Zeiten beschaffen gewesen sey, kann
man, noch bis auf diese Stunde, in den meisten Städten, an den Chor- oder Schul-
sängern abnehmen. Diese bringen es zwar im Notenlesen weiter, als viele ga-
lante Sänger anderer Völker: allein mit der Stimme wissen sie fast gar nicht
umzugehen. Sie singen daher meistentheils ohne Licht und Schatten, in einer-
ley Stärke des Tones. Die Nasen- und Gurgelfehler kennen sie kaum. Die
Vereinigung der Bruststimme mit dem Falset ist ihnen eben so unbekannt, als
den Franzosen. Mit dem Triller begnügen sie sich so, wie ihn die Natur giebt.
Von der italiänischen Schmeicheley, welche durch geschleifete Noten, und durch
das Vermindern und Verstärken des Tones gewirket wird, haben sie wenig Em-
pfindung. Ihr unangenehmes, übertriebenes, allzurauschendes Stoßen mit der
Brust, wobey sie sich die Fertigkeit der Deutschen das h auszusprechen rechtschaffen zu
Nutzen machen, und bey allen Noten: ha ha ha ha hören lassen, verursachet, daß die
Passagien alle gehacket klingen; und ist von der Art, mit welcher die welschen Brust-
stimmen die Passagien vortragen, weit entfernet. Den simpeln Gesang hengen
sie nicht genug an einander, und verbinden denselben nicht durch vorhaltende No-
ten: weswegen ihr Vortrag sehr trocken und einfältig klingt. Es fehlet diesen
deutschen Chorsängern zwar weder an natürlich guten Stimmen, noch an der
Fähigkeit etwas zu lernen: es fehlet ihnen vielmehr an der guten Unterweisung.
Die Cantores sollen, wegen der mit ihrem Amte immer verknüpfeten Schular-
beiten, zugleich halbe Gelehrte seyn. Deswegen wird öfters bey der Wahl mehr
auf das letztere, als auf die Wissenschaft in der Musik gesehen. Die nach sol-
chen Absichten erwähleten Cantores treiben deswegen die Musik, von der sie ohne-
dem sehr wenig wissen, nur als ein Nebenwerk. Sie wünschen nichts mehr, als
bald durch eine gute fette Dorfpfarre, von der Schule, und zugleich von der Musik
erlöset zu werden. Findet sich auch ja noch hier und da ein Cantor, der das
Seinige versteht, und seinem musikalischen Amte rechtschaffen vorzustehen Lust hat:
so suchen an vielen Orten die Obersten der Schule, einige geistlichen Aufseher der-
selben, unter denen viele der Musik aufsätzig sind, nicht ausgenommen, sowohl
den Cantor, als die Schüler, an Ausübung der Musik zu hindern. Auch sogar
in denen Schulen, welche, besage ihrer Gesetze, hauptsächlich in der Absicht ge-
stiftet worden sind, daß die Musik darinne vorzüglich soll gelehret und gelernet,
und musici eruditi gezogen werden, ist öfters der durch den Vorsteher unterstü-
tzete Rector der abgesagteste Feind der Musik. Gerade als wenn ein guter La-
teiner und ein guter Musikus Dinge wären, deren eines das andere nothwen-
diger Weise aufhebt. Die mit den Cantordiensten verknüpfeten Vortheile, sind
an vielen, ja an den meisten Orten, so gering, daß ein guter Musikus Bedenken
tragen muß, einen solchen Dienst, ohne Noth, anzunehmen. Da es nun, auf
solche Art, in Deutschland an guter Anweisung, vornehmlich in der Vocalmusik,
fehlet; da derselben auch noch dazu an vielen Orten unübersteigliche Hindernisse
in den Weg geleget werden: so können auch nicht leicht gute Sänger erzogen wer-
den. Es ist bey diesen Umständen zu vermuthen, daß bey den Deutschen die
gute Singart niemals so allgemein werden dürfte, als bey den Italiänern; bey
welchen

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